KIRCHE IM TOURISMUS

 

Man sollte endlich etwas tun. Man sollte dem Putin endlich Einhalt gebieten. Man sollte alternative Energien fördern. Man sollte den Hunger in der Welt beheben. Man sollte etwas gegen die Klimaerwärmung tun. Man sollte. Man müsste. Man.

Ein eigenartiger Man, den wir ständig vorschieben. Oder hinter dem wir uns verstecken. Es ist einfach zu rufen: Man sollte solidarischer sein. Ich muss es sein. Nicht der Man. Nicht die andern. Nicht die Gesellschaft. Ich. Doch echte Solidarität kostet. Deshalb kneifen wir gerne und verstecken uns hinter dem allgemeinen «Man sollte…»

Solidarität ist primär einmal mein Ding. Ich will, darf und muss solidarisch leben. Auch wenn es kostet. Léon Bourgeois, 1851-1925, der französische Friedensnobelpreis-träger und Gründervater des Völkerbundes, der Vorläuferorganisation der UNO, hatte gelebte Solidarität von jedem Menschen mit folgender Metapher eingefordert: «Viele Dinge sind für uns selbstverständlich. Der technische Fortschritt. Die Wissenschaft. Aber auch die Infrastruktur. Das alles haben wir zahllosen, anonymen Menschen zu verdanken». Deshalb war er der Überzeugung, dass der einzelne Mensch gegenüber der Gesellschaft in einer tiefen Schuld steht. Mit echtem, solidarischem Verhalten könnten wir etwas von dieser Schuld zurückzahlen. Ein spannender Gedanke.

Solidarität ist – wie schon erwähnt – immer mit Kosten irgendeiner Art verbunden. Dem Pflegepersonal zuzuklatschen war vielleicht gut gemeint. Aber keine Solidarität. Die Farben der ukrainischen Flagge auf meinem Profilbild zu zeigen genauso.

Solidarität muss ich nicht von der Allgemeinheit einfordern. Man sollte… Nein, ich darf und muss mich engagieren. Ich bin gefragt. Mich soll sie kosten. Ich will Zeit, Engagement, meine ganze Kreativität aber auch Geld hineingeben. Doch dies ist keine Last und kein Verlust. André Gide, der französische Literatur-Nobelpreisträger, 1947, wusste schon: «Das Geheimnis des Glücks liegt nicht im Besitz, sondern im Geben. Wer andere glücklich macht, wird glücklich».

In Sachen Solidarität sollten wir das feige Wörtchen «man sollte» vergessen. Ich bin gefragt. Ich werde dabei an die Fabel «Das Pferd und der Esel» erinnert: «Das Pferd trabt unbelastet neben dem schwerste Körbe und Säcke tragenden Esel her. Es weigert sich trotz der Bitte des Esels, ihm etwas von seiner Last abzunehmen. Der Esel bricht unter der schweren Last zusammen. Nun bekommt das Pferd alles, was der Esel getragen hat. Und dazu noch dessen schweren Sattel obendrauf». Gute Menschen verweigern sich nicht, sondern helfen dem andern. Jeder kann einmal auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sein.

Von Martin Luther King, 1929-1968, dem amerikanischen Bürgerrechtler, stammt die Feststellung: «Wir haben gelernt wie Vögel zu fliegen, wie Fische zu schwimmen; doch wir haben die einfache Kunst verlernt, wie Brüder zu leben».